Wir wenden etwa einen halben Tag dem See den Rücken zu und fahren in Richtung Val d’Adige (Etschtal), in dem die Brennerautobahn nach Verona verläuft. Die hier beschriebene Route führt zum Großteil an der Hangseite des Monte Baldo entlang, die in entgegengesetzter Richtung zum Gardasee ist. Gebiete, die zwar verhältnismäßig wenig von Bikern durchfahren werden, aber den uns bekannten Wegen, was die Schönheit anbelangt, keineswegs nachstehen.
Gestartet wird bei der Talstation der Seilbahn vom Monte Baldo in Malcesine. Die ersten 1700 Meter Höhenunterschied ersparen wir uns heute, d. h. wir legen sie mit der Seilbahn zurück, denn es warten andere, fast gleichwertige Höhendifferenzen, im Sattel auf uns. Es empfiehlt sich, eine der ersten Fahrten am Vormittag zu nehmen, die speziell den Bikern vorbehalten sind. Denn später wird es nämlich schwierig, das Bike in die Seilbahn zu packen, da sich stets viele Touristen am Panorama des Monte Baldo erfreuen wollen. Die frühen Morgenstunden haben auch noch den Vorteil, dass wir vor Einbruch der Dunkelheit die Tour beenden.
An der Bergstation angekommen, gibt es gleich zwei Gründe, die uns in Erstaunen versetzen: Das atemberaubende Panorama, das sich hier oben an klaren Tagen bietet und die prickelnde Luft, die buchstäblich das Gesicht peitscht und uns gleich zur Windjacke greifen lässt. Die Schwüle der Sommertage am See ist schon vergessen, bevor wir in die Pedale steigen. Auch die erste kurze Abfahrt wird kühl und in gewisser Weise als Vorbereitung für die Steigung auf Asphaltstraße zur Schutzhütte Graziani dienlich sein. Auf einer wenig befahrenen kleinen Straße und mit angenehmem Gefälle führt die Tour durch wunderschöne Buchenwälder. In der Zwischenzeit haben wir die Windjacke wieder im Rucksack verstaut.
Bei der Schutzhütte Graziani lassen wir den Asphalt hinter uns, und auf einem Weg durch Weidegelände umfahren wir das Corna Piano und kehren dann, etwas oberhalb von San Valentino, auf die ursprüngliche Straße zurück. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung, falls ihr entdeckt, dass hier so gut wie niemand unterwegs ist. Denn hier gibt es fast ausschließlich Ferienhäuser, die nur während der Wintersaison (je nach Schneelage) oder im August bewohnt werden. Ansonsten herrscht völlige Ruhe, abgesehen wo einigen Wochenenden. Nach San Valentino geht es auf einer kleinen Straße weiter, die nun leider auch seit kurzer Zeit zu den asphaltierten gehört. Ursprünglich war sie eine schöne, von Schafherden benützte Schotterstraße, und jetzt radelt man dort mühelos und muss nicht einem einzigen Stein ausweichen. Man hat schon fast den Eindruck, als ob dort in den nächsten Tagen die Karawane des Giro d’Italia vorbeikommt. Nun geht es erst einmal kräftig bergauf, bevor wir zum nächsten Hang überwechseln und zu einer dem Anschein nach unbedeutenden Lichtung weiterfahren. Rechts von euch entdeckt ihr jedoch den Wegweiser zum „Corno della Paura”. Ihm folgt ein unwegsamer und steiler Abschnitt, den man mit dem Bike nur im Niedriggang überwinden kann. Lasst eure Räder beim Beginn des Schützengrabens und steigt zu Fuß hinauf bis zur Aussichtsplattform. Dort befand sich einst ein Vorposten, von dem die Alpini das Val d’Adige überwachten. Von den hier oben in Stellung gebrachten Kanonen, die auf die Poebene ausgerichtet waren, blieben nur die Fundamente erhalten. Ferner sind noch einige Höhlen vorhanden, in die sich die Soldaten während des Winters zum Ausruhen oder zum Aufwärmen zurückzogen.
Ein umwerfendes Panorama, das an klaren Tagen bis zum Apennin der Region Emilia reicht. Das Geräusch der Autobahn dringt bis hierher und ist unverwechselbar, obwohl uns vom Tal bzw. von der Autobahn mehr als tausend Meter Höhendifferenz trennen. Gäbe es noch die Kanonen, hätte man Lust, die Autobahn zu beschießen, um dem Verkehrslärm ein Ende zu setzen und die wirkliche Stille dieser Orte zu genießen. Wir lassen die „kriegerischen Wunschvorstellungen“ fallen und kehren zu unseren Bikes zurück, mit denen wir die Abfahrt in Richtung „Bocca d’Ardole“ in Angriff nehmen. Die spektakuläre Militärstraße verläuft oben durch drei, in den Fels gehauene Tunnels, und zwar oberhalb einer Schlucht mit gelbem Dolomitgestein. Der Straßenbelag ist sehr steinig, aber auf der breiten Straßen können wir die größten Felsbrocken umfahren oder ohne große Probleme auf dem Geröllteppich dahingleiten.
Bei der „Bocca d’Ardole“ angekommen, ist die Versuchung groß, die Fahrt ins Val d’Adige auf dem schönen, im Zickzack durch die Wiesen verlaufenden Pfad fortzusetzen, aber der müssen wir leider widerstehen. Der Pfad 686 ist eine nur wenig bekannte „Schmankerl-Route“, der eine lange Steigung ab Avio folgen würde. In Anbetracht der Länge dieser Tour, ist diese Kombination kaum durchführbar.
Wir fahren hinauf in Richtung Vignola, am Skigebiet der Polsa vorbei, stets mit herrlichem Ausblick auf das Val d’Adige, und auf den gegenüberliegenden Monte Carega. Nun befinden wir uns, übrigens schon seit San Valentino, auf dem Friedenspfad. Er wird deshalb so genannt, weil er an den Kampfstätten des 1. Weltkrieges entlangführt. Ihm folgen wir bis nach Saccone, und zwar auf einer schönen Abfahrt durch die Wälder. Der Tourenabschnitt bis nach Brentonico führt über eine Asphaltstraße. Bevor wir die nächste „Wegeportion” in Angriff nehmen, wird eine kurze Rast eingelegt. Von Brentonico müssen wir nämlich die gesamte Nordseite des Monte Baldo überqueren, um zur gleichnamigen Straße des Berges zu gelangen, und folglich auf die Hangseite vom Gardasee. Die „Brentegana-Straße”, so nennt sich diese Verbindung, steigt kontinuierlich an, und dadurch wird dieser Tourenabschnitt ziemlich mühsam. Ebenso die letzte Steigung des Tages, die uns in die „Prati-Wiesengelände von Nago“ bringt, zum Beginn der unendlichen Abfahrt in Richtung Navene.
Natürlich könnten die müdesten Biker auf der Asphaltstraße direkt nach Torbole fahren, aber dann würden sie einen der schönsten Abschnitte dieser Tour versäumen, nämlich das Gefälle vom Dosso dei Roveri. Dieser Weg wurde vor ein paar Jahren, und nach jahrelanger Verwahrlosung, gesäubert und neu angelegt. Das Ergebnis ist deutlich sichtbar und dient als Beispiel für die Wegewartung, die auch andernorts angewendet werden sollte: An den kritischen Stellen sind Wasserablaufrinnen angelegt, das in den Weg wachsende Gestrüpp entfernt, zahlreiche Kehren gewartet - auch angesichts der vielen Biker, die den Weg befahren - und das Geröllfeld entfernt worden, das sich unten am Weg befand, kurz vor dem Schotterweg, der nach Navene führt.
Bevor wir abfahren, sollten wir unsere müden Knochen bei der Aussichtsplattform, mit Blick auf das Wiesengelände von Nago, etwa rasten lassen. Unterhalb von uns glänzt der Gardasee in seiner gesamten Länge. Die Steigungen liegen nun alle hinter uns, und das verleiht uns die Kraft, um diese wundervolle Abfahrt gebührend anzugehen. Zunächst verläuft sie flüssig und schnell, aber dann wir der Weg beim Dosso dei Roveri felsig und technischer, mit etlichen Kehren, die uns in Richtung See begleiten. An einigen Stellen öffnet sich der Wald und bietet fantastische Ausblicke. Dort sollte man verweilen und ein Erinnerungsfoto machen.
Nach diesem technisch wohl anspruchsvollsten Abschnitt setzt sich der Singletrack auf Waldboden und mit sanfterem Gefälle fort, das euch bis zum Seeufer in Navene bringt.
INFO TRAIL
Kilometer: 64
Höhenunterschied: 1800 m
Schwierigkeitsgrad: anstrengend
Beste Jahreszeit: Juni - Oktober
Roadbook: Seilbahn in Malcesine, Ankunft bei der Bergstation – Bocca di Navene – Bocca del Creer – Rifugio Graziani – der Ausschilderung der Wege 633-650 folgen, die um das Corna Piana führt und sich mit der Asphaltstraße verbindet – San Valentino – ausgeschilderter Weg Nr.686 von den Colme di Pravecchio und in der Nähe vom Corno della Paura (kurzer Abstecher zur Aussichtsplattform) – dem Wegweiser 687 „Sentiero della Pace-Friedenspfad” folgen, der Schotterweg führt durch drei in den Fels gehauene Tunnels – Malga Vignola – Malga Cestarelli – Saccone – Prada – Brentonico – Festa – Strada Brentegana – Dos Remit – Prati di Nago – Wegweiser 6 zum Dosso dei Roveri und zum Dosso Spirano bis nach Navene – Radweg an der Seepromenade bis nach Malcesine.